Leise Menschen

Ich ticke irgendwie anders….fühle mich oft absonderlich und etwas seltsam. Ich bin zu passiv, ich verzettle mich in Einzelheiten, ich vermeide Kontakte und verhalte mich konfliktscheu. Ich fühle mich schnell überfordert in lauter oder unruhiger Umgebung und vor grossen Menschenansammlungen ergreife ich jeweils am liebsten die Flucht.

Ich kann voll gut mit Menschen. Also wenn es nicht zu viele sind. Und keiner was sagt. Kleine Friedhöfe sind schön!

Quelle: aus dem Dark Mansion Tarot von Taroteca-Studio

Erkennst Du Dich wieder in solchen Gedanken? Oder vielleicht kennst Du Menschen in Deinem Umfeld, im Freundeskreis, in der Familie oder auf der Arbeit, von denen solche Aussagen kommen könnten?
Also falls solche Gedanken auf Dich zutreffen, dann gehörst Du mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu den introvertierten Menschen.

Im Rahmen meines Moduls „Arbeit als Therapeut“ hatte ich den Auftrag eine schriftliche prozessorientierte Arbeit zu schreiben, eine Präsentation zu erstellen und vorzutragen sowie während der ganzen Zeit ein Lernjournal zu führen.

Ich hatte für meine Präsentation das Thema „Leise Menschen“ gewählt und zwar aus folgendem Grund. Die Aufgabe war es, dass das Thema der Arbeit sowie der Präsentation einen persönlichen Bezug, wie auch ein Zusammenhang mit der Arbeit als Therapeut haben musste. Ich hatte schon seit ich mich erinnern kann Mühe damit, vor mehr als fünf Leuten etwas vorzutragen. Und gerade deshalb wählte ich für meine schriftliche Arbeit das Thema „Sich zeigen – sichtbar werden und sein“. Weil das Thema doch recht umfassend war, hatte ich für meine Präsentation nur ein Fragment daraus gewählt. Eben „Leise Menschen“. Es geht dabei um die Thematik von introvertieren Menschen. Ich habe mich während der Recherche sehr im Thema wiedererkannt. Und gerade dieses Wiedererkennen hat mich in einer gewissen Weise beruhigt. Denn zuvor dachte ich immer, dass ich so wie ich bin, mit meiner leisen Art, falsch bin. Ich habe nun festgestellt und erfahren, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Ich bin so, wie ich bin genau richtig.

Anschliessend der Text vom Handout, welches ich begleitend zur Präsentation erstellt hatte. Denn vielleicht interessiert es Dich, was es mit diesen introvertierten Menschen auf sich hat…

Leise Menschen

Was genau ist ein introvertierter Mensch?
Introvertiert sein soll nicht mit Schüchternheit oder Hochsensibilität verwechselt werden. Der Computer-Nerd der sich hinter seinem Computer verschanzt ist eher ein „klischeehafter“ Typus leiser Menschen.
„Carl Gustaf Jung definierte 1921 mit seiner Arbeit Psychologische Typen erstmals Introversion und Extraversion als Merkmale, die eine Persönlichkeit wesentlich prägen“(Löhken 2019:28). Intro und Extraversion sind zwei Pole. Es gibt da kein Schwarz oder Weiss. Sondern zwischen diesen zwei Polen existiert ein grosses Bewegungsspektrum. Dies wiederum hängt mit den verschiedensten Faktoren zusammen. Es sind dies verschiedenste Ausprägungsfaktoren, welche die persönlichen Eigenschaften und Neigungen eines Menschen prägen (Persönlichkeit, Situation, Kultur, Lebensverlauf). Die Intro-oder Extroversion scheint trotz diesen Faktoren ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal zu sein (vgl. Löhken 2019:22-24).

Schlüsselfrage
Entscheidend ist wohl die Antwort auf die Frage: Woher kommt die Energie?
„Ein extrovertierter Mensch erzeugt seine Energie wie ein Windrad- er braucht […] Impulse von aussen, um sie herzustellen und er muss […] in diesem Prozess selber in Aktion sein und sich dynamisch ‚drehen’. Ein Intro hingegen ist wie ein Akku: Er lädt sich im Ruhezustand ohne jeden ‚Wind von aussen’ auf und verzichtet in dieser Phase am liebsten auf Aktivitäten. Intros brauchen als ‚Akkus‘ dabei mehr Zeit, bis sie ihre Energie zurückhaben“ (Löhken 2019:26).
Zu viel Stimulation kann auf Intros energiezehrend wirken. „Allein-Zeit“ ist deshalb existentiell für sie. (vgl. Löhken 2019:25).

Hirnphysiologie
„Hirnforscher können heute nachweisen, dass introvertierte Menschen mit ihrer Hirnaktivität mehr Energie als extrovertierte Personen aufwenden“ (Löhken:26). „Intros verbrauchen also für die Verarbeitung von Eindrücken mehr Energie und leeren damit schneller ihre Akkus im Vergleich zu Extros […]“ (Löhken 2019:27).
„Dopamin sorgt für motorischen Antrieb, Neugier, für die Suche nach Abwechslung und die Erwartung einer Belohnung“ (Löhken 2019:30). Somit neigen Extros stärker zur Freude, Aufregung, Überschwang oder gar Euphorie. Sie sind auch eher bereit Risiken einzugehen, haben mehr Konflikte, neigen zu gewagten Aktionen und fühlen sich meist auch vor einem grösseren Publikum wohler (vgl. Löhken 2019:31). „Acetylcholin ist […] besonders für Konzentration, Gedächtnis und Lernen wichtig“ (Löhken 2019:30). „Intros dagegen haben weniger häufig und intensiv euphorische Gefühle. Dafür legen sie Wert auf genaues Hinsehen und Hinhören, bevor sie handeln. Sie meiden Konflikte gern und sind selbst selten offensiv“ (Löhken 2019:31). „Der Sympathikus […] bereitet den Körper auf Angriff, Flucht oder besondere Anstrengung in Kontakt mit der Aussenwelt vor. Zur Erregungsübertragung nutzt der Sympathikus den ‚Extro-Transmitter‘ Dopamin. Der Parasympathikus sorgt dagegen für das genaue Gegenteil: für Ruhe, Erholung und Schonung. Er senkt den Herzschlag und fördert die Verdauung. Zur Erregungsübertragung nutzt der Parasympathikus den ‚Intro-Transmitter‘ Acetylcholin“ (Löhken 2019:31).
Der grosse Unterschied ist also, dass Intros stärker vom Parasympathikus geprägt sind, Extros hingegen vom Sympathikus. „Damit wird biologisch erklärt, warum Extros ihre Energie aus aktivem, nach aussen gerichteten Verhalten beziehen, während Intros in der Ruhe ihre Kraft finden“ (Löhken 2019:32).

Sind Intros unsozial?
„Introversion und Eigenschaften wie Freundlichkeit oder Interesse an den Mitmenschen sind ganz unterschiedliche Bereiche der Persönlichkeit“ (Löhken 2019:33). „Die Fähigkeit positive Kontakte zu anderen Menschen aufzubauen, setzt sich aus verschiedenen Eigenschaften zusammen. Dazu gehören ein Interesse an anderen Menschen, Einfühlungsvermögen, Respekt, Mitgefühl – und sogar die Fähigkeit zu Schuldbewusstsein. Diese Eigenschaften haben Menschen ganz unabhängig davon, ob sie intro- oder extrovertiert sind“ (Löhken 2019:33-34).

Intro Stärken und ihre Hürden – Zwei Seiten einer Medaille
Vorsicht – Angst
Substanz – Kleinteiligkeit
Konzentration – Überstimmulation
Zuhören – Passiviät
Ruhe – Flucht
Analytisches Denken – Verkopftheit
Unabhängigkeit – Selbstverleumdung
Beharrlichkeit – Fixierung
Schreiben (statt Reden) – Kontaktvermeidung
Einfühlungsvermögen – Konfliktscheu
(vgl. Löhken 2019:46-87)

Meine persönliche Botschaft
Wenn Du selbst also eher ein introvertierter Mensch bist, so tust Du Dir existentiell das Beste, wenn Du Deine Bedürfnisse kennst und Dir somit Deine Regenerationszeit um den Akku aufzuladen, in der für Dich passender Form einplanst.
Wenn Du Freunde, Bekannte oder auch Klienten kennst, welche zu den introvertierten Menschen gehören, Du selber aber eher extrovertiert bist, so kannst Du in Zukunft vielleicht ein bisschen besser verstehen, weshalb die Intro’s sich regelmässig zurückziehen und sie es bevorzugen mit Dir in einer ruhigen Atmosphäre oder in einem gemütlichen Café ein Gespräch zu führen, anstatt Dich zu einem Grossanlass mit lauter Musik und viel Trubel zu begleiten.

Literaturverzeichnis
Löhken, Sylvia (2019): Leise Menschen – starke Wirkung. Wie Sie Präsenz zeigen und Gehör finden. 4.Auflage. Piper Verlag GmbH, München.

3 Antworten auf „Leise Menschen“

  1. Eine tolle Idee, Deine schöne Arbeit auch hier zu veröffentlichen. Gratuliere Dir! Ein weiterer Schritt in Richtung „Sichtbarkeit“. Freue mich! Herzlicher Gruss und aen schönen Tag
    Vivi

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